Auf dem Weg – Projekt 52


Projekt 52 – Thema: Auf dem Weg

Manchmal merkt man erst unterwegs, dass man in die falsche Richtung läuft.
Im Juni stand eine Hochzeit an – ein großes Fest mit rund 200 Gästen, in Kanada. Eingeladen waren wir drei aus Deutschland: meine Mutter Lisa, meine Tante Rike und ich. Der Anlass: meine Cousine Mira hat ihren Partner Jonas geheiratet. Mira ist die Tochter von Lisas Schwester – also ganz klar Familie.

Anfangs klang das nach einem besonderen Ereignis. Aber so neu war das für mich eigentlich nicht – ich war schon zweimal in Kanada. Ich wusste also, was mich erwartet. Und gerade deshalb wusste ich auch: Das wird mir zu viel.

Auf dem Weg bis zur Hochzeit lagen sämtliche Steine im Weg.
Je näher der Termin rückte, desto mehr wurde mir klar: Ich kann diesen Weg nicht mitgehen. Die weite Reise, die große Gesellschaft, die fremde Umgebung – das alles hätte mir ohnehin viel abverlangt. Aber was mir letztlich die Entscheidung leicht gemacht hat, war etwas anderes.

Es war das Verhältnis zu meiner Tante Elke.
Wir haben seit Jahren kein wirklich gutes Verhältnis, und ehrlich gesagt hatte ich nie das Gefühl, willkommen zu sein. Der Tiefpunkt kam, als sie sagte: „Ich kann dich nicht bespaßen.“
Ob man das als Ausladung bezeichnet oder nicht – für mich war klar: Ich bin nicht gewollt. Und da stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob ich mitfliege. Denn wenn du auf einer Feier nur „mitgedacht“ wirst, aber nicht wirklich willkommen bist, ist es besser, nicht zu erscheinen.

Auch meine Tante Rike hatte kein gutes Gefühl.
Ihre Gründe waren andere, vielleicht praktischer oder finanzieller Natur – aber ich war froh, dass sie ähnlich empfand. Es tat gut, nicht allein mit diesen Gedanken zu sein.

Eigentlich wollte Rike zur Hochzeit mitfliegen – der Flug war schon gebucht.
Doch am Pfingstsonntag erlitt ihr Mann Darian einen schweren Herzinfarkt. Wiederbelebung, Hubschrauber, 30 Tage Intensivstation in der Uniklinik – und schließlich die traurige Nachricht:
Darian verstarb am 10. Juli 2025 im Alter von nur 58 Jahren.

In Anbetracht dessen war die Reise nach Kanada natürlich kein Thema mehr.
Und rückblickend bin ich froh, dass wir beide nicht geflogen sind – wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Also machte ich mich auf den Weg, eine passende Lösung für mich zu finden.
Denn klar war: Ich konnte nicht mit nach Kanada – aber ich konnte auch nicht einfach allein zu Hause bleiben. Wir leben hier sehr ländlich, das Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten ist – sagen wir mal – überschaubar.

Ich war zu der Zeit noch im Kontakt mit der Eingliederungshilfe. Und da kam der Vorschlag: Kurzzeitpflege.
Den Gedanken hatte ich selbst auch schon – aber nicht in einem klassischen Pflegeheim, wo ich morgens beim Frühstück plötzlich das Gebiss vom Nachbarn im Kaffee finde.
Dass ich dort nicht in meiner Altersgruppe wäre, stört mich weniger. Aber das Setting, das Umfeld, diese Atmosphäre – das passt einfach nicht zu mir.

Das Sozialwerk Sonnenhöhe, die Trägerin des Ganzen, bot nicht nur Kurzzeitpflege an, sondern auch ambulante Pflege.
Also habe ich mich von der Pflegedienstleitung beraten lassen. Ich war ehrlich gesagt nicht begeistert – ich hatte keine großen Erwartungen, eher viele Fragezeichen. Aber trotzdem: Ich wollte eine Lösung finden. Für mich. Für meine Mutter. Für den Alltag.

Und tatsächlich: Wir haben eine gefunden.
Keine perfekte, aber eine praktikable. Eine Lösung, mit der ich leben kann.

Dass ich überhaupt nach einer Lösung suchen musste, liegt auf der Hand:
Ich bin pflegebedürftig und habe eine eingeschränkte Alltagskompetenz.
Ich kann vieles im Alltag nicht allein bewältigen. Nicht, weil ich nicht will – sondern, weil es einfach schwierig ist.
Und zwar sowohl körperlich als auch organisatorisch.
Essen zubereiten, Termine wahrnehmen, einkaufen, Struktur im Alltag – das alles funktioniert nur mit Hilfe. Und deshalb war klar: Wenn meine Mutter weg ist, brauche ich Unterstützung. Verlässlich. Planbar. Alltagsnah.

Die Lösung sah so aus:
Zweimal am Tag kam die Sozialstation zu mir – morgens und abends – und übernahm das Nötigste: Pflege, Medikamente, Grundversorgung.
Tagsüber war ich in der Seniorentagespflege.
Insgesamt acht Tage lang. Dort bekam ich Mittagessen, konnte mich zurückziehen, wenn ich wollte – oder mich unterhalten, wenn mir danach war.
Das Schöne war: Ich musste nichts, aber ich durfte alles. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte – in meinem Tempo.
Und das Beste daran: Ich konnte trotzdem abends wieder nach Hause.
Diese Kombination aus Struktur, Versorgung und dem Gefühl, trotzdem im eigenen Zuhause zu bleiben, war für diese Zeit genau richtig.

Natürlich lief nicht alles reibungslos.
Zwischen meiner Mutter Lisa und mir war die Stimmung angespannt.
Sie warf mir vor, ich hätte mich nicht rechtzeitig um einen Schnuppertag in der Tagespflege gekümmert – dabei hatte ich sie mehrfach gebeten, die Termine mit ihrem Kalender abzustimmen.

Meine Bedingung war klar:
Ich will erst fest eingeplant und abgesichert sein – und erst dann wird der Flug gebucht.
Denn ohne feste Unterstützung vor Ort konnte und wollte ich keine Entscheidung treffen. Ich wollte keine vagen Zusagen, keine halben Lösungen. Ich wollte schwarz auf weiß: Wer kommt wann, was wird übernommen, was passiert, wenn was dazwischenkommt.
Das fand sie – sagen wir mal – nicht so cool.
Aber für mich war das die einzige Möglichkeit, mit gutem Gefühl zuzustimmen.

Und trotzdem stand ich am Ende da, als hätte ich versagt. Dabei habe ich Verantwortung übernommen – für mich und für die Situation.

Was nehme ich mit?
„Auf dem Weg sein“ heißt nicht immer, dass man ein Ziel vor Augen hat.
Manchmal bedeutet es, Entscheidungen zu treffen, die andere nicht nachvollziehen können.
Manchmal heißt es, Verantwortung zu übernehmen – auch dann, wenn man eigentlich selbst Unterstützung braucht.
Und manchmal bedeutet es schlichtweg, sich selbst treu zu bleiben.

Was bedeutet „auf dem Weg sein“ für dich?
Hinterlass mir gerne einen Kommentar auf dem Blog. Ich freue mich auf den Austausch.

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